7 Juni 2021 | Ted Page
Dieser Beitrag ist die Antwort auf einen kürzlich veröffentlichten Artikel, der die Einhaltung von Standards während der Korrektur von PDFs für wichtiger erachtet als ihre Barrierefreiheit (What to do when a screen reader doesn’t read a remediated document correctly (Was kann ich tun, wenn ein Screenreader korrigierte Dokumente nicht korrekt wiedergibt?), CommonLook.com, 2. Juni 2021, in Englisch).
Der Artikel auf CommonLook vertritt den Standpunkt, der wichtigste Aspekt bei der Korrektur von barrierefreien PDFs sei „die vollständige Einhaltung aller notwendigen Standards“. (meine Hervorhebungen)
Im Gegensatz dazu sind wir bei Add überhaupt nicht der Meinung, dass die Einhaltung von Standards die wichtigste Überlegung sein sollte. Sie ist für die Barrierefreiheit nicht einmal notwendig.
Add oder „Cdd“?
Unser Unternehmen heißt „The Accessible Digital Documents Company“ (Unternehmen für barrierefreie digitale Dokumente). Aus gutem Grund haben wir uns nicht „The Compliant Digital Documents Company“ (Unternehmen für digitale Dokumente, die den Standards entsprechen) genannt.
Wie Sie sehen werden, kann die Barrierefreiheit Ihrer Dokumente sogar eingeschränkt sein, wenn Sie sich einzig auf die Einhaltung von Standards konzentrieren.
Wenn sich Standards und Barrierefreiheit widersprechen
Das zentrale Argument im Artikel von CommonLook lautet, dass „Korrekturen zur Unterstützung der Standards und nicht der Hilfstechnologien“ durchgeführt werden sollten. Als Beispiel wird folgender potenzieller Widerspruch angeführt:
„… viele Screenreader sagen ‚Link‘, wenn sie auf einen Referenz-Tag stoßen, selbst wenn dort kein echter Link steht. Ist dies dem Prüfer jedoch nicht bekannt, kann dies verwirrend sein und als mögliches Problem gemeldet werden, obwohl es gar keines ist.“
Dies ist sehr wohl ein Problem
Wir sind der Meinung, dass es eindeutig ein Problem ist, wenn ein Screenreader einen Link ankündigt, der keiner ist. Dies kann beispielsweise vorkommen, wenn Sie einen (den Vorschriften entsprechenden) Referenz-Tag für eine nicht verknüpfte Fußzeilen-Referenz verwenden. Wir bei Add würden dies aus dem einfachen Grund niemals machen, da es, wie schon der Artikel von CommonLook sagt, verwirrend ist. Und dabei keinen Vorteil bringt.
Dies war ein ziemlich banales Beispiel. Ein Beispiel mit weitaus gravierenderen Folgen wäre die Verwendung eines (den Vorschriften entsprechenden) Formel-Tags bei Gleichungen oder anderen mathematischen Ausdrücken bei der Korrektur von Prüfungsdokumenten, die dann von NVDA überhaupt nicht gelesen werden würden. Hier fällt die Wahl zwischen Barrierefreiheit und Einhaltung von Standards eindeutig aus. Es ist nicht immer beides möglich.
Kurz- oder langfristige Verwendung, und wann dies wirklich entscheidend ist
Wenn Sie die UN-Menschenrechtscharta mit Tags versehen und in diesem Fall von einer langfristigen Nutzung des Dokuments ausgehen, könnten Gründe für die Priorisierung von Standards gegenüber der kurzfristigen Barrierefreiheit sprechen. Ich sage „könnten“, da sich Standards (wie im Artikel von CommonLook eingeräumt) im Laufe der Zeit verändern, und was heute „richtig“ erscheint, in einigen Jahren „falsch“ sein kann. Wesentlich wichtiger wird dies jedoch bei der Korrektur von Prüfungsdokumenten, die eine Nutzungsdauer von weniger als einem Tag besitzen, und die Barrierefreiheit offensichtlich wichtiger als die Einhaltung von Standards ist. Dies ist unbestreitbar.
Selbstverständlich gibt es andere Dokumente als die UN-Menschenrechtscharta oder Prüfungsdokumente. Nachdem ich seit über 17 Jahren täglich PDF-Dokumente korrigiere, kann ich sagen, dass die meisten nur eine kurze oder maximal mittelfristige Nutzungsdauer besitzen.
Korrektur für einen bestimmten Screenreader
Abschließend argumentiert der Artikel von CommonLook, dass sich „die Korrektur für einen bestimmten Screenreader nachteilig auf die Barrierefreiheit eines Dokuments auswirken kann“ (wiederum von mir hervorgehoben). Ich habe kein Problem mit dieser Aussage. Allerdings unterstützt sie nicht die Argumentation des Verfassers, da schlicht und ergreifend das Gegenteil ebenfalls zutreffend ist.
Hat ein Verfasser beispielsweise echte römische Zahlen verwendet (und nicht die Buchstaben i, v und x usw.), dann werden diese von JAWS erkannt, nicht jedoch von NVDA. Würde ich diese (mit Actual Text) für NVDA korrigieren? Natürlich würde ich das machen. Warum? Erstens, weil falsche römische Zahlen für Screenreader beinahe unlesbar sind, und zweitens, weil keine Nachteile damit verbunden sind. (Denken Sie einfach nochmal an das Problem mit dem Formel-Tag oben – es handelt sich um exakt das gleiche Prinzip).
Fazit
Aufgrund der unterschiedlichen Gewichtung und Herangehensweise in der Frage, ob die Einhaltung von Standards oder der Endnutzer wichtiger ist, unterscheiden sich auch die Unternehmen, die an der Barrierefreiheit von PDF-Dokumenten arbeiten. Alle, die barrierefreie PDF-Dokumente in Auftrag geben, sollten wissen, dass sich die Ergebnisse der jeweiligen Ansätze zum Teil deutlich voneinander unterscheiden.