Warum kursive Texte nicht verboten werden sollten

7 Januar 2019 | Ted Page

Warum ein pauschales Verbot kursiver Texte aus Gründen der Barrierefreiheit eher schadet als nützt

Einige Unternehmen haben aus Gründen der Barrierefreiheit ein Pauschalverbot für kursive Texte in Onlineinhalten ausgesprochen. Das könnte ein Fehler sein.

Ganze Textblöcke in kursiver Schrift können für manche schwer zu lesen sein, doch die Verbannung von kursiver Schrift für gewisse Zusammenhänge raubt dem Text seiner semantischen Reichhaltigkeit und macht ihn schlechter lesbar, wodurch die Barrierefreiheit sinkt. Bis auf weiteres führt der vernünftige Gebrauch von kursiver Schrift zu den besten Ergebnissen, doch auf längere Sicht müssen Programme entwickelt werden, die eine vollständige Anpassung von Texten erlauben.

Die aktuelle Forschung

Bis heute wurde in diesem Bereich nur begrenzt geforscht. Eine der einflussreichsten Studien stammt dabei von Rello und Baeza-Yates, Good Fonts For Dyslexia, 2013 (PDF, 683KB) (nur auf Englisch). (Hinweis: Hier handelt es sich um ein PDF-Dokument ohne Tags, das für einige Leser möglicherweise nicht barrierefrei ist.) In der Studie wurde der Einfluss der Schriftart auf Menschen mit Legasthenie bemessen. Dabei wurden 48 Versuchspersonen 12 Texte in 12 unterschiedlichen Schriftarten vorgelegt, 3 davon in kursiver Schrift. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass kursive Schriftarten die Lesefähigkeit von Menschen mit Legasthenie reduzieren.

Nur Textblöcke wurden getestet

In diesem Zusammenhang ist dabei aus der Studie hervorzuheben, dass die 12 Texte allesamt aus 60 Wörter bestanden. Die Studie wurde also nur an Textblöcken durchgeführt. Doch wie wir sehen werden, werden Texte in Kursivschrift normalerweise in kurzen Sätzen, oder sogar einzelnen Wörtern oder Zahlen wiedergegeben.

WCAG/WebAIM über den Gebrauch der Kursivschrift

Es gibt viele angesehene und vertraute Quellen im Bereich der Barrierefreiheit, die sich gegen die Verwendung von Kursivschrift aussprechen. So enthält die WCAG Understanding Guideline 3.1 (nur auf Englisch) z. B. eine Empfehlung zur „Vermeidung von kursiven Textblöcken“. Ähnlich gibt WebAIM den folgenden Rat: „Verwenden Sie keine Kursiv- oder Fettschrift für lange Textabschnitte“, gleichzeitig sollen jedoch „unterschiedliche Stilelemente (kursiv, fettgedruckt, farbig, Kurzanimationen oder Inhalt in unterschiedlichen Stilen) verwendet werden, um wichtige Inhalte hervorzuheben“.

Internationale Standards

Es sollte außerdem beachtet werden, dass viele Konventionen zum Gebrauch von Kursivschrift in internationalen Standards verankert sind – dazu gehören u. a. BS 5605 (Zitieren und Verweisen auf veröffentlichte Materialien), BS ISO 690 (Bibliografieverweise und Zitierungen) und ISO 999 (Inhalt, Aufbau und Darstellung von Registern).

Was Sie verlieren, wenn Sie Kursivschrift verbieten

Wie in einem Beitrag aus dem Jahr 2008 in dem Blog (Kursivschrift) dargelegt, verleiht Kursivschrift Inhalten auf viele unterschiedliche Arten eine Bedeutung. Dazu gehören:

  • Betonung (im Gegensatz zu fettgedruckt für starke Betonung)
  • Werke (Bücher oder Dokumenttitel, Parlamentsgesetze, Rechtsfälle, Filme, TV-Serien und Radioprogramme, Kunstwerke, Kompositionen, Schiffs- und Flugzeugnamen usw.)
  • Fremdwörter oder fremdsprachige Ausdrücke (tête-à-tête, Fauxpas), oder lateinische Doppelbenennungen in der Biologie (Homo sapiens)
  • stilistische Texte wie „siehe“ und „siehe auch“, Querverweise, oder Indexanzeigen, die sich auf Abbildungen, Karten oder Diagramme beziehen

In einigen Fällen kann ein Wort in Kursivschrift die Bedeutung eines ganzen Satzes ändern. So bezieht sich der Satz „Er wollte mehr über die Pension wissen“ ohne Kursivschrift auf die Rente. Setzt man das Wort „Pension“ in diesem Satz jedoch in Kursivschrift, so war er auf der Suche nach Informationen über ein kleines, privates Hotel.

Keine Einigkeit unter Lesern mit Legasthenie

Selbst unter Menschen mit Legasthenie gibt es keine Einigkeit darüber, ob ein Verbot von Kursivschrift hilfreich wäre. So sagte Martin Pitt (im Mai 2017) in einer Diskussion auf dem GitHub-Forum:

„Monotone lange Text sind für niemanden geeignet. Das sogenannte Rich-Text-Format ist jedoch fantastisch. Es verleiht Textabschnitten Lesbarkeit durch unterschiedliche Schriftbreite (z. B. fettgedruckt), Kursivschrift und Farbe. Praktiken, oder auch Glaubenssätze, die mögliche Varianz in Texten verbieten, sind einfach eine sehr schlechte Idee.“

Die langfristige Lösung? Die vollständig individuelle Textformatierung

Auf lange Sicht liegt die ideale Lösung für das Problem, das manche Leser mit Kursivschrift haben, in der vollständig individualisierbaren Textformatierung. Doch wie realistisch ist das überhaupt?

In seinem Aufsatz von 2012 – How feasible is text customisation for PDF? (nur auf Englisch) – bietet Olaf Drümmer einen interessanten Überblick in Bezug auf PDF-Dokumente, vor allem in Zusammenhang des damals erschienenen PDF-/UA-Standards.

Ich würde der Behauptung in dieser Abhandlung, dass die Anpassung von Farbe und Textumfluss nur in sehr einfachen Dokumenten funktioniert, jedoch deutlich widersprechen. Im Gegenteil, diese besonderen Merkmale sind von professionellen Dokumentautoren sehr gut kontrollierbar und ich würde behaupten, dass ein PDF-Dokument, das nicht für beides optimiert wurde, sich nicht barrierefrei nennen kann.

Für weitere Informationen zu diesen Gründen, werden Sie bitte außerdem einen Blick auf Barrierefreiheit und Leserichtung von PDF-Dokumenten zum Thema Textumfluss. In Bezug auf die Farbanpassung werfen Sie bitte einen Blick auf den Blogeintrag PDF background colour bug returns in Acrobat/Reader DC (nur auf Englisch), der die allgemeinen Probleme erläutert, und auf den Eintrag The InDesign workaround: paste into (nur auf Englisch), der die Lösung bietet. (Hinweis: Ausgefallene Hintergrundfarben werden in Microsoft Word am besten vermieden. Es ist zwar ein großartiges Textverarbeitungsprogramm, jedoch nicht so gut geeignet für die Seitengestaltung.)

Ich überlasse es den Experten in diesem Feld, ein Urteil über die Realisierbarkeit einer Anpassung von Volltext in Webbrowsern zu fällen.

Fazit

Es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass große Textabschnitte in Kursivschrift am besten vermieden werden. Ein allgemeines Verbot der Nutzung von Kursivschrift raubt Texten jedoch einen großen Teil ihrer Bedeutung. Dokumentenersteller sollten daher ihrer eigenen Einschätzung folgen und dabei ihre Erfahrungen und ihr Wissen einbringen, um Kursivschrift in Onlinedokumenten angemessen zu verwenden.

Bis alle großen Programme eine gute Textformatierung bieten können, müssen der gute Menschenverstand, Kompromisse, gutes Urteilsvermögen, und geeignete Dokumentenverarbeitung und Typografiefähigkeiten ausreichen. Ein allgemeines Verbot von Kursivschrift ist daher eine Überreaktion auf das Problem und würde in vielen Fällen mehr schaden als nützen.