Barrierefreiheit und Leserichtung von PDF-Dokumenten

8 Januar 2018 | Ted Page

Warum ein PDF-Dokument, das den Standards entspricht, nicht unbedingt auch barrierefrei ist (Teil 1)

PDF/UA ist der ISO-Standard für die Barrierefreiheit von PDF-Dokumenten. Wenn sich alle PDF-Autoren an diesem Standard orientieren würden, würde die Qualität der Dokumente drastisch ansteigen.

Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass mit PDF/UA konforme Dokumente nicht unbedingt auch vollständig barrierefrei sind. Manchmal müssen Dokumentautoren weit mehr als nur Standards einhalten, um sicherzustellen, dass ein PDF-Dokument für alle Nutzer von Hilfstechnologien barrierefrei ist. In diesem und in einer Serie an zukünftigen Blogeinträgen werden wir Ihnen Beispiele dafür zeigen.

In diesem Eintrag werfen wir einen Blick darauf, wie wichtig die Einstellung der Leserichtung von PDF-Tags ist, die gemäß PDF/UA vorgeschrieben ist; und auf die Leserichtung, die nicht mit Tags gekennzeichnet sind (siehe unten), die nicht durch PDF/UA vorgeschrieben werden.

PDF/UA und die Leserichtung

PDF/UA 1.0 gibt an, dass die Leserichtung eines PDF-Dokuments (oder „logische Reihenfolge“) in den Tags des Dokuments festgelegt sein sollte. Dabei heißt es genau:

„7.1 Allgemeine …Inhalte müssen im Strukturbaum mit semantisch geeigneten Tags in einer logischen Leserichtung markiert werden …“

Die meisten Hilfstechnologieprogramme wie JAWS, SuperNova oder NVDA erfüllen dies, da sie ihre Leserichtung mit Hilfe der PDF-Tags bestimmen. Doch einige Leseprogramme, wie z. B. das beliebte Read&Write Gold, funktionieren anders. Für diese Programme muss die Leserichtung außerdem im Bereich Leserichtung und/oder im Bereich Inhalt von Acrobat korrekt eingestellt sein (ohne Tags gekennzeichnete Leserichtung).

Die Korrektur der Leserichtung in PDF-Dokumenten für alle Nutzer von Hilfstechnologien

Das folgende Video zeigt Ihnen den Unterschied zwischen den beiden Leserichtungen.

Im ersten Beispiel sind die PDF-Tags in zusammenhängender Reihenfolge aufgeführt, und JAWS liest den Inhalt wie erwartet. Verwenden wir allerdings Read&Write Gold/PDF Aloud für dasselbe Dokument, ist die Leserichtung vollkommen durcheinander.

Im letzten Beispiel bleiben die Tags unverändert, doch die Leserichtung, die nicht mit Tags gekennzeichnet ist, wurde korrigiert. Das Dokument funktioniert nun auch mit Read&Write Gold und anderen Hilfstechnologien, die ohne Tags arbeiten.

Video: Barrierefreiheit von PDF-Dokumenten und die Leserichtung, die nicht mit Tags gekennzeichnet ist

Mitschrift — Barrierefreiheit von PDF-Dokumenten und die Leserichtung, die nicht mit Tags gekennzeichnet ist (Englisch) (PDF, 173KB)

Mindestens 10 % Ihrer Zielgruppe

Wie groß ist der Anteil Ihrer Zielgruppe, der betroffen ist, wenn Sie die Leserichtung, die nicht mit Tags gekennzeichnet ist, nicht korrekt einstellen?

Read&Write Gold ist eine Hilfstechnologie, die als Lesehilfe-Software klassifiziert wird. Eine Umfrage der britischen Regierung unter Nutzern von Hilfstechnologien im Jahr 2016 ergab, dass 15 % der Umfrageteilnehmer Software zur Lesehilfe verwenden. Davon nutzten 68 % Read&Write Gold, was insgesamt mehr als 10 % entspricht.

Kreisdiagramm zeigt Bildschirmvergrößerungsprogramme 30 %, Screenreader 29 %, Spracherkennung 18 %, Lesesoftware 15 % und andere 8 %
Quelle: GOV.UK assistive technology users’ survey 2016
Kreisdiagramm zeigt Read&Write Gold 68,4 %, Claro Read 6,1 % und andere 25,5 %
Quelle: GOV.UK assistive technology users’ survey 2016

Es besteht außerdem Grund zur Annahme (jedoch leider ohne nachweisliche Statistiken), dass die Nutzung von Read&Write Gold in einigen Branchen (vor allem in der Bildung) erheblich höher liegt als bei 10 % aller Nutzer von Hilfstechnologien. Außerdem ist es wie bereits erwähnt nicht das einzige Programm, das so funktioniert.

Umfließen (und WCAG 2.1)

Wenn Sie ein PDF-Dokument umfließen (Strg/Cmd + 4), wird die Leserichtung des Inhalts auch durch die nicht mit Tags gekennzeichnete Leserichtung bestimmt. Wenn Sie den Entwicklungen der WCAG 2.1 folgen, werden Sie wissen, dass der korrekte Umfluss von Text ein Erfolgskriterium der Stufe AA werden soll (Working Draft 7, SC 1.4.10). Leser, die umflossenen Text der Stufe AA benötigen, stellen eine weitere Gruppe Ihrer Leser dar, deren Bedürfnisse Sie berücksichtigen sollten. Für ein PDF-Dokument bedeutet dies, dass beide Leserichtungen korrekt eingestellt werden müssen.

Fazit

Die Korrektur einer nicht durch Tags gekennzeichneten Leserichtung muss gemäß PDF/UA nicht erfolgen. Eine korrekte Leserichtung gewährleistet jedoch die Barrierefreiheit des PDF-Dokuments – zumindest, bis alle großen Hilfstechnologien (und die Umflussansicht eines PDF-Dokuments) ihre Leserichtung über Tags erhalten.

Versuchen Sie es selbst

Sie können die PDF-Dokumente aus dem Video herunterladen und die nicht durch Tags gekennzeichnete Leserichtung selbst ausprobieren.

Falsche, nicht durch Tags gekennzeichnete Leserichtung (PDF, 71KB)

Richtige, nicht durch Tags gekennzeichnete Leserichtung (PDF, 71KB)

In der Praxis

Die Beispiele oben wurden natürlich speziell für dieses Video erstellt. Wenn Sie gerne ein reales Beispiel ausprobieren möchten, erhalten Sie hier (mit Erlaubnis) ein PDF-Dokument eines Kunden als Beispiel für die beste Vorgehensweise. Die Infografiken auf Seite 4 und 5 sind besonders gute Beispiele für die Bedeutung einer korrekten, nicht mit Tags gekennzeichneten Leserichtung.

Blaubuch der Rentenregulierungsbehörde (nicht barrierefrei, English), (PDF, 1,60MB)

Blaubuch der Rentenregulierungsbehörde (barrierefrei, Englisch), (PDF, 893KB)

Nachwort: Wenn ein PDF-Dokument barrierefreier ist als HTML

Sie haben in dem Video vielleicht das Balkendiagramm gesehen, das mit den unterschiedlichen Hilfstechnologien (JAWS und Read&Write Gold) zwei sehr unterschiedliche Ergebnisse anzeigt. Wenn Sie ein PDF-Dokument richtig erstellen können, ist das sehr einfach. Die Erstellung einer Kopie auf einer HTML-Seite ist jedoch schwierig. Wir werden uns in einem zukünftigen Blogeintrag tiefgehender damit beschäftigen: „Wenn das PDF-Format barrierefreier ist als das HTML-Format”.